Mathematikum-Gründer Prof. Albrecht Beutelspacher im Interview

"Mathe ist ein demokratisches Fach"

Frischer Wind aus Mittelhessen: Prof. Albrecht Beutelspacher ist der Gründer des Mathematikums

Prof. Albrecht Beutelspacher ist so etwas wie der Popstar der deutschen Mathematik. Im Jahr 1996 gründete der Gießener Wissenschaftler das weltweit erste Mathematik-Mitmachmuseum. Mittlerweile geht Beutelspacher mit Teilen der Ausstellung auf Tournee. Davon profitierte auch das Ernst-Mach-Gymnasium, wo die „Mathematik zum Anfassen“ im November des letzten Jahres zwei Wochen lang für leuchtende Kinderaugen sorgte. Am 30. Januar ist Albrecht Beutelspacher nun persönlich am EMG zu Gast. Im Interview spricht er über seine Ausstellung, die Bedeutung der Mathematik im Alltag und an Schulen, gibt aber auch einen kleinen Ausblick auf seinen Vortrag.

Herr Prof. Beutelspacher, die allermeisten Kinder und Jugendliche, die im November die Ausstellung besucht haben, wollten nichts über mathematische Hintergründe wissen, sondern einfach nur spielen. Ist das schlimm?
Nein, überhaupt nicht. Die Experimente sind ja so aufgebaut, dass man dabei nicht etwas Stumpfsinniges macht. Vielmehr taucht in den allermeisten Fällen eine Hürde, ein Problem auf. Oder es passiert etwas Überraschendes. Und diese Hürde oder diese Überraschung bringt unser Gehirn in Bewegung. Die Experimente sind also Impulse, um mathematisches Denken in Gang zu bringen.

Was hat sich bei einem Menschen verändert, der Ihre Ausstellung besucht hat?
Empirisch ist das unheimlich schwer überprüfbar, aber ich bin felsenfest davon überzeugt, dass sich bei den Kindern und Jugendlichen, aber auch bei den Erwachsenen, im Kopf etwas tut. Irgendetwas kommt in Bewegung, man stellt sich Fragen, man bildet Begriffe, findet Beschreibungen. Das wird alles nicht formalisiert und ist deshalb auch schlecht abfragbar – was vielleicht gerade für Lehrerinnen und Lehrer ein Problem ist – aber es ist ein erster Schritt in die Mathematik. Sie werden selbst festgestellt haben, dass die Besucher nicht müde oder enttäuscht aus der Ausstellung kommen. Viele haben ein Strahlen im Gesicht und das eine oder andere Erfolgserlebnis im Gepäck.

Warum ist Mathematik auch für Menschen wichtig, die Sozialpädagogen, Sprachwissenschaftler oder Marketingstrategen sind bzw. werden wollen?
Im Wesentlichen gibt es dafür zwei Gründe: Wir leben in einer Welt, die von Zahlen und Funktionen bestimmt ist. Und wir als mündige Bürger müssen in der Lage sein, uns auf vernünftigem Niveau damit auseinander zu setzen. Sonst sind wir beispielsweise irgendwelchen Statistiken hilflos ausgesetzt. Der andere Grund liegt darin, dass sich einem Menschen, der mathematische Begriffe und Bilder im Kopf hat, die Welt besser erschließt. Wenn man beispielsweise mit einem Symmetriebegriff im Kopf in die Welt hinausgeht, kann man an unheimlich vielen Stellen Symmetrien entdecken. Daraus entstehen wieder Fragen. Das Leben macht auf diese Weise einfach mehr Spaß.

Warum ist das Fach Mathematik bei vielen Menschen so unbeliebt?
Das Alleinstellungsmerkmal von Mathe ist, dass man hier - so gut wie in keinem anderen Fach - sagen kann, was richtig und was falsch ist. Bei den Schülern entsteht leider dadurch das Gefühl, dass Mathematik ein unbarmherziges Fach ist. Schon der kleinste Fehler führt dazu, dass ein Ergebnis falsch ist. In der Folge werden die Mathematiklehrerinnen und -lehrer als Herren über richtig und falsch wahrgenommen, obwohl sie das oft gar nicht wollen.
Das ist sehr schade, denn eigentlich ist es genau umgekehrt. Gerade dadurch, dass sich in Mathe richtig und falsch eindeutig unterscheiden lassen, ist es ein sehr demokratisches Fach, bei dem eben nicht der Lehrer die Deutungshoheit über die Ergebnisse hat. Fünf mal sieben ist 35, und keinem Lehrer dieser Welt wird es gelingen dies umzudeuten.

Welche Veränderung wünschen Sie sich für den Mathematikunterricht an Schulen?
Mein persönliches Ziel in der Lehrerausbildung besteht darin, Mathematik in der Schule als Fach zu etablieren, das die Persönlichkeit der Schüler stärkt. Wir wollen Kinder und Jugendliche nicht klein machen, sondern sie dazu bringen logisch und klar zu argumentieren, um sich selber ein Urteil bilden zu können, was richtig und was falsch ist.

Wie lässt sich das konkret im Unterricht umsetzen?
Ein Ansatz ist die Einbindung von Experimenten im Mathematikunterricht - nicht nur die Experimente aus dem Mathematikum bzw. der Ausstellung, sondern haptische Dinge wie beispielsweise kleine Basteleien von Körpern. Das ist deshalb sinnvoll, weil es fast alle Schüler mitnimmt, und jeder Mathematik auf seinem Niveau entdecken kann. Mir ist klar, dass nicht jede Unterrichtseinheit eine Bastelstunde sein kann. Aber ich bin davon überzeugt, dass wenn man ein bis zwei Mal im Schuljahr etwas ganz anderes macht, sich auch bei den Schülerinnen und Schülern ein ganz anderes Bild von Mathematik einstellt. Es gibt noch viele weitere Ideen: Alltagsanwendungen von Mathematik, Knobelaufgaben und vieles mehr.

Apropos Knobelaufgabe: In einem bewachten Wichteldorf müssen alle, die eingelassen werden wollen, eine Abfrage mit der richtigen Zahl beantworten. Der erste Wichtel wird von der Wache mit der Zahl 28 konfrontiert, antwortet mit der Zahl 14 und wird eingelassen. Der zweite antwortet auf 16 mit 8 und wird ebenfalls eingelassen. Der dritte beantwortet die 8 mit 4. Auch er wird eingelassen. Ein heimlicher Zuhörer glaubt, den Schlüssel gefunden zu haben, und stellt sich der Abfrage. Auf die Zahl 20 antwortet er mit 10 und wird abgewiesen.
Die richtige Antwort lautet sieben. Ein sehr witziges Rätsel, weil es den Zusammenhang zwischen Sprache und Zahlen thematisiert. Mir fällt dazu ein Experiment ein. Man beginnt eine Zahlenfolge mit einer beliebigen Zahl . z.B. 24367, schreibt die Zahl als Wort auf und zählt die Buchstaben, woraus sich die nächste Zahl ergibt. Und so weiter. Das interessante ist, dass man immer bei der Zahl vier landet. Man kann sich die Frage stellen, wie das Experiment in anderen Sprachen ausgeht.

Worauf können sich die Besucher Ihres Vortrages am 30. Januar freuen?
Zu viel möchte ich nicht verraten, aber ich werden eine ganze Menge Experimente zeigen. Die Besucher müssen auch ein bisschen mitmachen, aber alle werden Freude daran haben. Erstens weil in den Experimenten Erkenntnisse stecken, zweitens weil es alles Experimente sind, die man selber leicht nachmachen kann. Technisch sehr einfach, aber in allen steckt ein zündender mathematischer Gedanke. Es wird also bestimmt ein unterhaltsamer Vortrag, bei dem man aber auch etwas lernen wird. Das gilt übrigens für Groß und Klein, egal welche mathematischen Vorkenntnisse man mitbringt.

Haben Sie schon berechnet, ob Sie bei Ihrer Anreise von Gießen nach Hürth im Stau stehen werden?
Ich fürchte, das übersteigt meine Kompetenzen. Ich verspreche aber, dass ich so zeitig losfahre, dass ich in jedem Fall pünktlich am Ernst-Mach-Gymnasium sein werde.

Das Gespräch führte Gregor Evers

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