Zweites EMG-Stratosphärenprojekt: Ortung und Bergung

Höhenbergung im Siegerland

Wir haben ein Problem! Über uns in etwa zehn Metern Höhe hängt unsere Messsonde in einem Baum, der definitiv nicht bekletterbar ist. Da hilft es auch nicht, dass wir in Jan Hötzel diesmal einen Sportlehrer bei unserer Bergungsaktion dabei haben.

Während wir uns gegenseitig leicht vorwurfsvoll anblicken, stellen wir fest, dass keiner von uns daran gedacht hat, Leiter, Teleskopstange, Seil oder Haken mitzunehmen. Positiv denken heißt in diesem Fall, etwas gefunden zu haben, das man beim nächsten Mal besser machen kann. Positiv denken heißt aber auch, sich zu vergegenwärtigen, dass die Bergung der Sonde des zweiten EMG-Stratosphärenprojekts fast zu einem unspektakulären Lehrerausflug ins Siegerland verkommen wäre.

Dass Jan Hötzel auf dem Weg nach Osten den Kontakt zur A4 verliert und wir uns plötzlich auf der Landstraße wiederfinden, taugt nämlich nicht unbedingt zur Abenteuergeschichte. Schon gar nicht für ein Publikum, das wir mit der Müllkippenanekdote aus dem Vorjahr ziemlich verwöhnt haben.

Auch von der Ortung gibt es nichts Aufregendes zu berichten. Nachdem wir dem kommerziellen GPS-Tracker kollektiv das Misstrauen ausgesprochen haben, hat Michael Schröder zusammen mit seinem MPI-Kurs die Sache selbst in die Hand genommen. Das mit eigenen Programmen angesteuerte GSM-Modul hat die gewünschten Geodaten bei allen Tests zuverlässig und präzise per SMS übermittelt.

Anders als im Vorjahr gibt es also auch keinen Aufschrei der Erleichterung, als Schröder im Bergischen Land die Kontaktaufnahme verkündet. Die Sonde meldet sich per SMS aus etwa 380 Metern Höhe, was uns zunächst überrascht, da wir erst in tieferen Regionen mit der Registrierung im Handynetz gerechnet haben. Erst nachdem das Modul sich aus immer gleiche Höhe vom immer gleichen Ort meldet, zählen wir Eins und Eins zusammen: Wir steuern das Rothaargebirge an. Die Sonde ist nicht mehr in der Luft, sondern in knapp 400 m Höhe gelandet.

An der Abfahrt Freudenberg verlassen wir die Sauerlandlinie und biegen auf die L562 ein. Im Radio laufen die Toten Hosen mit „An Tagen wie diesen“. Wir grölen mit. Kurz vor Siegen führt uns die Navigation auf den Lenne-Sieg-Wanderweg, der 2 km entfernt am Siegener Hauptbahnhof endet. Matsch, Schnee und Eis wechseln sich auf dem Waldweg ab. Gut, dass Jan Hötzel noch seine Winterreifen aufgezogen hat.

Fast hätte sich eine gewisse Schatzsucher-Romantik eingestellt, wenn Schröder die Sonde nicht schon aus dem Auto entdeckt hätte. „Da oben im Baum“, verkündet er, was ich fast als unsensibel empfinde. Hätte er nicht wenigstens warten können, bis wir aus dem Auto gestiegen sind?

Jetzt stehen wir also da und haben keine Ahnung, wie wir unsere kostbare Fracht aus dem Baum bekommen. Drei der vier Lego-Passagiere sind noch genau dort, wo wir sie befestigt haben. Nummer 4, das Schweißermännchen, finden wir auf dem Waldboden.

„Wir könnten die Anwohner fragen, ob jemand eine lange Leiter hat“, schlägt Jan Hötzel vor. Vielleicht kommt man aber von der steilen Böschung neben dem Baum an die Sonde heran. Wir entdecken einen umgestürzten zehn Meter langen Baum, den wir so gerade noch gehoben bekommen. So gut es geht befreien wir ihn von den Ästen und beginnen unsere Operation.

Und tatsächlich! Im zweiten Anlauf gelingt es uns mit vereinten Kräften, den Baum so mit den Schnüren der Sonde zu verdrillen, dass es kein Entkommen mehr gibt. Der Fallschirm, der sich noch weitere zehn Meter weiter oben in der Baumkrone verfangen hat reißt ab. Sei’s drum. Irgendein Opfer muss man bringen. Die Sonde ist geborgen, doch diesmal wird es ein wenig dauern, bis sie ihre Geheimnisse preisgibt.

Gregor Evers

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